Der amerikanische Kornettist, Komponist und Dirigent Butch Morris bzw. Lawrence "Butch" Morris wurde vor allem für seine Conductions bekannt. Darunter versteht man das improvisierte Dirigieren von Musikern.
Dabei koordinierte und steuerte er das Spiel der Musikerinnen und Musiker mit Hilfe eines Repertoires von etwa 20 verschiedenen Handzeichen, die ihm ermöglichten, auch improvisierte Teile durch spezielle Haltungen seines Taktstockes abzurufen. Bei diesen Conductions leitete unterschiedliche Ensembles.
Erste Anstösse dazu erhielt er 1971, als er von Los Angeles nach Oakland zog. Vor allem zwei Leute waren für die Entwicklung seiner Idee vom improviserenden Dirigieren massgebend: Der Schlagzeuger und ehemalige Ornette Coleman-Begleiter Charles Moffett und die Musiklehrerin Jackie Hairston, bei der er das Dirigieren erlernte.
Moffett besass eine Rehearsal-Band, die im Club 7 seine Kompositionen spielte. Von Zeit zu Zeit dirigierte Moffett im wahrsten Sinne des Wortes auch die improvisierenden Musiker bzw. die improvisierten Teile seiner Musik. 1976 ging Morris nach New York City, wo er - noch immer an seiner Idee vom improvisierenden Dirigieren arbeitend - in den Kreis der Loft-Szene geriet.
Damals existieren sogenannte "energy orchestras", die bis zu vier Stunden lang spielten. "Manchmal hörte ich etwas, von dem ich glaubte, dies müsste man noch einmal wiederholen können. Aber die Musik liess sich nicht wiederholen. Sie war verloren für die Ewigkeit, verschwunden in den Ohren der Zuhörer", sagte Morris.
Zur selben Zeit beobachtete er auch die Arbeit der Orchesterleiter Frank Zappa und Sun Ra. Er hörte von Lukas Foss und seinem Improvisation Chamber Ensemble und hörte sich eine Aufnahme von "Two Improvisations For Orchestra" von Leonhard Bernstein an.
1977 leitete Morris einen Workshop in Rotterdam. Das Orchester spielte nicht nur Kompositionen, sondern wurde von Morris auch erstmals mittels Zeichen geleitet, um "den freien Improvisationen eine Struktur wie noch nie zu geben". 1979 lehrte Morris am königlichen Konservatorium von Lüttich, wo sein Vokabular an Zeichen ständig wuchs.
1984 wandte Morris seine Form des improvisierenden Dirigierens erstmals öffentlich in einem Konzert an. Er kaufte sich die Noten des Streichquartetts Nummer 130 (Presto) von Ludwig van Beethoven und gab einzelnen Teilen eine Nummer. Dazu verwendete er drei Zeichen. Mit Zahlen und Zeichen dirigierte er am 15. Juni 1984 im Manhattan Healing Arts Center ein Streichquartett.
Ab 1985 begann Morris seine Conductions mit Ensembles in aller Welt sorgfältig zu dokumentieren und zu numerieren. "Conduction No. 1" bildete sein Album "Current Trends In Racism In Modern America (A Work In Progress)" (Sound Aspects, 1986), entstanden im Februar 1985 im New York City. Dabei liessen sich Musikerinnen und Musiker wie Frank Lowe (ts), John Zorn (as), Brandon Ross (g), Zeena Parkins (e-harp), Tom Cora (cello), Christian Marclay (tt), Eli Fountain (vib), Curtis Clark (p), Thurman Barker (marimba, perc) und Yasunao Tone (vcl) von Morris' Zeichensprache leiten.
Danach enstanden drei weitere Aufnahmen in grösseren Besetzungen, die nicht zu den Conductions zählen. Es war dies "Homeing" (Sound Aspects, 1989) und "X-Communication" (FMP, 1991) mit Liveaufnahmen von 1987, 1990 und 1991, mitgeschnitten in Berlin und Wuppertal, sowie "Dust To Dust" (New World, 1991) mit Studioaufnahmen von 1990.
Ein grosser Teil der Conductions, die zwischen dem 18. Dezember 1988 (Conduction 11 "Where Music Goes" mit dem erweiterten Rova Saxophone Quartet in San Francisco) und dem 5. März 1995 (Conduction 50 mit japanischen Musikern in Tokio) entstanden, ist im Rahmen der 10-CD-Box "Testament - A Conduction Collection" (New World, 1995) dokumentiert.
Bei diesen Conductions überall auf der Welt leitete Butch Morris jeweils Ensembles, die meistens aus einheimischen Improvisatorinnen und Improvisatoren zusammengesetzt waren. Einzig J.A. Deane (tb, elect) war auf fast allen Aufnahmen als Assistent von Morris mit dabei.
Die 10-CD-Box enthält auch eine Broschüre, in der Morris das Prinzip seiner Conductions ausführlich erklärt, sowie eine Liste mit den Angaben zu den ersten 50 Conductions. Weitere Aufnahmen von Conductions erschienen später einzeln.
Die Conductions 51, 55 und 56 mit deutschen Musikern und Musikerinnen erschienen als "Berlin Skyscraper" (FMP, 1998) auf einer Doppel-CD. Sie wurden im November 1995 am Total Music Meeting in Berlin aufgezeichnet. "Cond. # 70 Tit For Tat" (Four 4 Ears, 1998) wurde im September 1996 in Zürich mit Schweizer Musikern und Musikerinnen eingespielt.
Auf der Doppel-CD "Holy Sea - Conductions 57, 58, 59" (Splasc(h), 1999) ist Morris in Aufnahmen von Anfang Februar 1996 mit dem Orchestra della Toscana in Florenz zu hören. Eine weitere Conduction wurde im April 2001 in New York vom Jump Arts Orchestra realisiert. Die Aufnahmen erschienen unter dem Titel "Conduction 117" (Jump Arts, 2003).
"Conduction/Induction" (Rai Trade, 2007) hiess eine Doppel-CD mit zwei verschiedenen Aufnahmen, die in Italien entstanden waren. CD 1 "Conduction® No. 135, Sheng Skyscraper" wurde im September 2003 an der Biennale Musica in Venedig mitgeschnitten. CD 2 trug den Titel "Induction No. 2/1, Emyoueseyesee.It" und wurde Mai 2006 in Bologna am Angelica Festival aufgenommen.
Die Doppel-CD "Conductions 143/1 143/2" (Galatina, 2007) zeigt Butch Morris als Dirigent des italienischen Ensembles Laboratorio Novamusica. CD 2 wurde im November 2004 in Venedig eingespielt, CD 2 wenige Tage später in Berlin mit den vier Bassklarinettisten Armand Angster, Hans Koch, Peter Van Bergen und Wolfgang Fuchs als Gastmusiker.
Ebenfalls in Italien war die Doppel-CD "Verona - Conduction® No. 43, The Cloth (1994)/Conduction® No. 46, Verona Skyscraper® (1995)" (Nu Bop, 2011) aufgezeichnet worden. Als einzige waren bei beiden Konzerten Zeena Parkins (harp) und Lê Quan Ninh (perc) mit dabei. Dazu kamen italienische oder weitere amerikanische Musikerinnen und Musiker.
"Possible Universe(Conduction® 192)" (Nu Bop, 2014) stammt von einem Konzert an einem Festival im August 2010 in Sardinien. Neben italienischen Musikern und Musikerinnen machten dabei Evan Parker (ts), David Murray (ts, bcl), Alan Silva (synth) und einige weitere bekanntere Musiker mit.
Die Aufnahmen des erst später veröffentlichten DL-Albums "Conduction # 113 InterFlight" (2024) waren bei einem Festival 2000 in Madrid mitgeschnitten worden, als Morris selber als Kornettist auftrat und dabei ein Quartett mit Graham Haynes (co, elect), Agustí Fernandez (p, bells), J.A. Deane (sampl, dm-mach) und Joan Saura (sampl, synth) dirigierte. 06/24