Conlon Nancarrow

Amerikanisch-mexikanischer Komponist, geboren am 27. Oktober 1912 in Texarkana, Arkansas. 1930 begann er ein Studium am Konservatorium von Cincinnati mit der Trompete als Hauptinstrument. Es folgte ab 1934 ein Studium in Komposition bei Walter Piston, Roger Sessions und Nicolas Slonimsky in Boston.

 

Nancarrow war vorübergehend Mitglied der Kommunistischen Partei der USA. 1936 reiste er als Jazztrompeter auf einem Dampfer nach Europa. Dort besuchte er London, Paris und Deutschland. Als Soldat der Abraham-Lincoln-Brigade ging er 1937 nach Spanien und kämpfte dort im Bürgerkrieg auf republikanischer Seite.

Nach der Niederlage kehrte Nancarrow 1939 schwer verletzt in die USA zurück und zog dort nach New York. Durch einen Artikel des Komponisten Henry Cowell wurde er nach seiner Rückkehr in die USA erstmals auf die Möglichkeiten des Player-Pianos, einer Selbstspielapparatur für Klaviere, aufmerksam.

 

Ab 1940 bekam Nancarrow wie viele seiner ehemaligen Kameraden der Lincoln-Brigade zunehmend politisch motivierte Schwierigkeiten in den USA. Als man ihm den Pass entziehen wollte, verliess der das Land und liess er sich vorerst provisorisch, ab 1948 dann definitiv, in Mexiko nieder.

 

1947 hatte Nancarrow in New York ein Player-Piano von "Ampico" und ein Gerät zum Stanzen der zugehörigen Notenrollen gekauft. In seiner neuem Heimat begann er mit dem Schreiben von Stücken für das Player-Piano, die er "Studies" nannte. Im Verlaufe der Zeit entstanden 51 solcher Studies.

 

1955 nahm Nancarrow die mexikanische Staatsbürgerschaft an. Dank John Cage choreografierte Merce Cunningham einige von Nancarrow geschriebenen Studies. Erste Aufnahmen von Nancarrow und seinen Studies erschienen unter dem Titel "Studies For Player Piano" (Columbia, 1969). Die LP umfasste 12 der 51 Studies.

 

Die erste Gesamteinspielung von Nancarrows Studies erschien zwischen 1977 und 1984 auf vier LPs des Labels "1750 Arch Records" mit dem Obertitel "Complete Studies For Player Piano". Die Aufnahmen waren im April in Nancarrows Studio aufgezeichnet worden.

 

Das Ganze wurde später unter dem Titel "Studies For Player Piano: The Original 1750 Arch Recordings" (Other Minds, 2008) in Form eines 4-CD-Sets wieder veröffentlicht. Zwischen 1988 und 1991 brachte auch das deutsche Label "Wergo" eine Gesamteinspielung der Studies auf zwei Doppel-CD und einer normalen CD je einzeln auf den Markt.

 

Diese Aufnahmen waren 1988 in Nancarrows Studio aufgenommen worden. "Wergo" fasst seine drei Veröffentlichungen 1999 auch zu einer 5-CD-Box zusammen. Zwischen 2006 und 2009 brachte auch das Label "Musikproduktion Dabringhaus und Grimm" (MDG) eine Gesamteinspielung auf fünf CD auf den Markt.

 

CD 5 dieser Reihe trug den Titel "Original Compositions And Transcriptions For Player Piano". Diese Aufnahmen waren 2006 in der  Immanuelskirche in Wuppertal mit Hilfe eines Bösendorfer und eines Original-Ampico-Mechanismus aufgezeichnet worden. 1982 hatte Nancarrow durch Vermittlung von György Ligeti erstmals seine Musik persönlich und live dem europäischen Publikum vorgestellt.

 

Ebenfalls auf Rat von Ligeti erwarb und restaurierte Jürgen Hocker 1983 einen originalen Ampico-Bösendorfer-Selbstspielflügel, um Nancarrows "Studies for Player Piano" in Konzerten aufführbar zu machen. Die erste Live-Aufführung von Nancarrows Studies erfolgte 1986 anlässlich des Holland Festivals in Anwesenheit Nancarrows.

 

Zwischen 1987 und 1990 folgen Auftritte von Nancarrow mit dem Ampico-Bösendorfer-Selbstspielflügel in Köln, Hamburg, Hannover, Berlin, Wien, Paris. Anlässlich der Donaueschinger Musiktage kam es 1994 und 1997 zur Uraufführung von Nancarrows "Studies For Two Player Pianos". 1997 folgte die erstmalige Aufführung des Gesamtwerks Nancarrows für Player Piano anlässlich der MusikTriennale Köln durch Jürgen Hocker.

 

Der Stil von Conlon Nancarrow unterscheidet sich grundsätzlich von dem aller anderen Komponisten der europäischen und amerikanischen Avantgarde. Sein grösstes Interesse galt rhythmischen und temporalen Abläufen. Seine Musik ist fast ausschliesslich polyphon. Er komponierte neben seinen Studies auch andere Werke, darunter Streichquartette oder Stücke für normales Klavier. Mehrere seiner anderen Kompositionen wurden für Schallplatten eingespielt.

 

Conlon Nancarrow starb am 10. August 1997 in Mexiko-Stadt, 84-jährig. Sein Nachlass samt Instrumenten und seiner Stanzeinrichtung befindet sich in der Paul-Sacher-Stiftung in Basel. 03/24