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Hermann Nitsch

Österreichischer Maler, Aktionskünstler, Musiker und Komponist, geboren am 29. August 1938 in Wien. Er war ein bedeutender Vertreter des Wiener Aktionismus. Nach dem Abschluss an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien übernahm Nitsch 1957 eine Stelle als Grafiker am Technischen Museum. Einige Jahre später entstanden die ersten Malaktionen und auch die Idee des Orgien-Mysterien-Theaters.


Diese Idee begann ihn von da an unablässig zu beschäftigen. Seine in Wien in der Öffentlichkeit abgehaltene Aktionsarbeit führte in den frühen 1960er Jahren zu ständigen Konfrontationen mit den Behörden und mehrwöchigen Gefängnisaufenthalten, die ihn 1968 veranlassten, nach Deutschland zu übersiedeln. Nach Erfolgen der ersten Orgien-Mysterien-Theater Ende der 1960er Jahre in den USA und Deutschland führte Nitsch während der 1970er Jahre in vielen europäischen und nordamerikanischen Städten Aktionen durch.


1971 gelang ihm der Ankauf des niederösterreichischen Schlosses Prinzendorf aus dem Besitz der Kirche, wo Nitsch im Zuge grösser Aktionen auch seine Vorstellungen von der Musik zu seinem Theater verwirklichen konnte. Bei den Aktionen wurden Lärmorchester, Schreichöre und elektrisch verstärkte Instrumente eingesetzt. Hermann Nitsch deutete das Leben als Passion, den Malprozess als verdichtetes Leben und damit als Inbegriff der Passion.


Nach Gastprofessuren an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste–Städelschule in Frankfurt am Main und der Hochschule für Bildende Künste Hamburg unterrichtete Nitsch ab 1989 bis zu seiner Emeritierung an der Städelschule eine Klasse für Interdisziplinäre Kunst. 1960 entstanden seine ersten Schüttbilder. 1962 war das Geburtsjahr des Wiener Aktionismus. Zusammen mit Otto Muehl und Adolf Frohner realisierte er in Wien die dreiteilige Aktion "Die Blutorgel", zu der ein gemeinsames Manifest veröffentlicht wurde.


Anfang der 1960er Jahre entwickelte er die Hauptgedanken für sein Orgien-Mysterien-Theater: Unter Einbeziehung aller Kunstformen wie Malerei, Architektur, Musik, Opferritual, Messliturgie und anderen sollten die Sinne der Teilnehmer schrittweise bis aufs Äusserste angespannt werden, um auf einem Höhenpunkt die Erkenntnis des Lebensprozesses an sich möglich zu machen.


Ab 1971 veranstaltete er auf dem Areal seines Schlosses Prinzendorf regelmässig seine "Orgien-Mysterien-Spiele", darunter als Höhepunkt seines Lebenswerks das grosse "6-Tage-Spiel" im Sommer 1998 unter der Regie von Alfred Gulden, sowie als seine 120. Aktion das "2-Tages-Spiel" im Sommer 2004. 1972 war er Teilnehmer an der von Harald Szeemann kuratierten Documenta 5 in Kassel in der Abteilung Individuelle Mythologien.


Bei der Documenta 7 im Jahr 1982 war er ebenfalls vertreten. Christoph Schlingensief bezog sich auf die Arbeit von Nitsch. Am 19. November 2005 fand im Wiener Burgtheater im Rahmen der 50-Jahr-Jubiläumsfeierlichkeiten zur Wiederöffnung nach dem Krieg die 122. Aktion des Orgien-Mysterien-Theaters statt. Nitsch wurde wiederholt eingeladen, seine Auffassungen von Kunst und Ritual auch in die Oper einzubringen.


An der Wiener Staatsoper führte er 1995 Co-Regie und schuf Ausstattung und Kostüme zu Jules Massenets Oper "Hérodiade". 2001 war Nitsch bei der Aufführung der Gandhioper "Satyagraha" des amerikanischen Komponisten Philip Glass im Festspielhaus St. Pölten in Niederösterreich für das Bühnenbild und die Kostüme zuständig. 2005 schuf er die Ausstattung zu Igor Strawinskis "Le Renard".


2007 führte er Regie bei den Szenen aus Goethes "Faust" von Robert Schumann im Opernhaus Zürich. 2011 war er an der Bayerischen Staatsoper München für die szenische Konzeption, Gestaltung, Bühne und Kostüme zu "Saint François d’Assise" von Olivier Messiaen verantwortlich.


Hermann Nitschs Weltbild ist stark von mystischen Autoren sowie von de Sade, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud und Antonin Artaud geprägt. In seinem theoretischen Buch "Orgien-Mysterien-Theater" führte Nitsch aus, dass seine Aktionen und Bilder bei den Zuschauern zunächst Ekel und Abscheu, dann eine Katharsis bewirken sollen.


Die Ekel und Abscheu auslösenden Provokationen und die Verknüpfung von realen Tierkadavern und realem Blut mit religiösen Inhalten wie der Kreuzigung und der unbefleckten Empfängnis wurde von Nitsch bewusst eingesetzt, um den Betrachter zum Nachdenken über die im Alltag häufig verdrängte Themen wie Blut und Tod zu bringen.


Von christlich geprägten Betrachtern und zahlreichen Kritikern wurden seine Aktionen als Blasphemie bezeichnet. Weil er durch die Einbeziehung und Kombination von Opferritualen und liturgischen Elementen in seine blutigen Aktionen nicht nur Tierschützer, sondern auch Theologen und Vertreter der öffentlichen Moral zu Stellungnahmen reizte, war sein Werk in der Öffentlichkeit stark umstritten.


Umgekehrt distanzieren sich manche Aktions- und Performance-Künstler, auch frühere Mitstreiter, von dem ihrer Meinung nach allzu religiösen, gesamtkunstwerkhaften Einschlag seiner Arbeiten. Dabei wurde sein Schaffen auf Schloss Prinzendorf als Versuch eines Gegenkonzepts zu Wagners Bayreuth gedeutet.


Im Rahmen Seiner Orgien-Mysterien-Theater war Nitsch auch als Komponist und Schriftsteller tätig. Seine Aktionen wurden in akribisch notierten Partituren notiert, die neben Handlungsanweisungen und Texten grafisch notierte Musikstücke enthielten. Ab 1972 erschienen Aufnahmen mit musikalischen und/oder szenischen Werken von Nitsch. Eine der ersten war die LP "Akustisches Abreaktionsspiel" (Galerie Klewan, 1972) mit dem gleichnamigen Radiohörspiel.


"Requiem für meine Frau Beate" (Edizioni Morra, 1977) erstreckte sich über drei LPs, "Island: Eine Sinfonie In 10 Sätzen" (Dieter Roth's Verlag, 1980) gar über sechs LPs. Je 20 Kassetten umfassten "Musik der 80. Aktion" (Dieter Roth's Verlag, 1984) und "Die Tiefe des Alls (Das Harmoniumwerk 1983-1989)" (O. M. Theater, 1989). Der Tag fünf seines erwähnten 6-Tage-Spiel des Orgien Mysterien Theaters fand auf acht CDs (Cortical Foundation, 2000) Platz.


Das gesamte 6-Tagesspiel wurde später auf 51 CD-R (Cortical Foundation, 2003) veröffentlicht. Auf 20 CD-R wurde "Das Orgien Mysterien Theater 120. Aktion Das 2-Tage Spiel" (O.M. Theaters, 2005) verewigt. 6 CD-R brauchte es für "Musik Der 122. Aktion Das Orgien Mysterien Theater" (Alga Marghen, 2009). Total erschienen von Nitsch über 60 verschiedene Aufnahmen.


Hermann Nitsch starb am 18. April 2022, 83-jährig in Mistelbach. 08/23

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