Russischer Komponist und Pionier der mikrotonalen Musik, geboren am 14. Mai 1893 in Sankt Petersburg als Sohn eines Bankiers und als Enkel des Mathematikers und russischen Finanzministers Iwan Alexejewitsch Wyschnegradski. Nachdem er zuerst Rechtswissenschaften studierte, wechselte Wyschnegradsky im Alter von 17 Jahren an das Sankt Petersburger Konservatorium.
Dort studierte er von 1911 bis 1914 bei Nikolai Sokolow. Er wurde mit dem Werk Skrjabins bekannt, das starken Einfluss auf ihn ausübte. 1916/1917 komponierte er das Oratorium "La Journée de l'Existence" mit einem eigenen Text. Am Schluss erkling ein 12-töniger Cluster, der sich über fünf Oktaven erstreckt.
Aus der Idee des "Klangkontinuums", die Wyschnegradsky in den folgenden Jahren und Jahrzehnten entwickelte, entstanden zahlreiche Kompositionen unter Verwendung von Mikrointervallen und ultrachromatischen Systemen, die jedoch in der Musikwelt erst gegen Ende seines Lebens grössere Aufmerksamkeit fanden.1920 emigrierte Wyschnegradsky nach Paris.
1922 reiste er nach Berlin, um andere Komponisten zu treffen, die sich mit Vierteltönen beschäftigten. Es handelte sich dabei um Richard Stein, Alois Hába, Willy von Möllendorff und Jörg Mager. Pläne, gemeinsam mit Hába ein Vierteltonklavier zu konstruieren, schlugen fehl. Dies teilweise aus technischen Gründen, teilweise auch aufgrund von Visumproblemen, die ihn zur Rückkehr nach Paris zwangen.
In Paris heiratete er 1923 die Künstlerin Hélène Benois. Nachdem weitere Versuche mit einem Vierteltonklaviers nicht zu spielbaren Lösungen führten, arbeitete er ab 1936, seine Kompositionen in Versionen für mehrere, im Abstand gestimmte Klaviere um. Am 25. Januar 1937 wurde in Paris erstmals im Rahmen eines Konzertes ausschliesslich Musik von Wyschnegradsky aufgeführt.
Dabei wurden einige seiner Werke mit Besetzungen für 2 oder 4 Klaviere im Vierteltonabstand uraufgeführt. Die Komponisten Charles Koechlin und Olivier Messiaen wurden durch dieses Konzert auf ihn aufmerksam. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Wyschnegradsky für drei Jahre in ein Sanatorium, um eine Tuberkulose auszukurieren. Dabei geriet er in eine Schaffenskrise.
Unter anderem der junge Olivier Messiaen ermutigte ihn, mit seiner Arbeit fortzufahren. Bei einer Aufführung des "Deuxième fragment symphonique" in einer Fassung für vier Klaviere 1951 wirkte auch der junge Pierre Boulez mit. Wyschnegradsky schrieb überwiegend, vor allem aus Gründen der Aufführbarkeit, kammermusikalisch besetzte Werke, vor allem solche für zwei im Vierteltonabstand gestimmte Klaviere.
Dazu kamen mehrere Werke für drei im Sechsteltonabstand gestimmte Klaviere, sowie das Stück "Arc-en-Ciel op. 37" für sechs Klaviere im einem Zwölfteltonabstand. Iwan Wyschnegradsky starb am 29. September 1979 86-jährig in Paris. Sein Schaffen ist auf mehreren Schallplatten dokumentiert. "Vierteltonmusik • Quarter Tone Music • Musique À Quart De Ton" (Edition Block, 1983) hiess eine Doppel-LP mit sieben Werken auf drei LP-Seiten.
Die letzte LP-Seite bestand aus Auszügen aus Gesprächen mit Robert Pfeiffer sowie entsprechenden Musikbeispielen. Die Pianisten François Couture, Louis-Philippe Pelletier und Paul Helmer waren die Musiker auf der LP "Music For Three Pianos in Sixths Of Tones" (McGill University, 1985). Darauf fanden sich auf der A-Seite drei Werke von Wyschnegradsky sowie auf der B-Seite je eines von Bruce Mather und Jack Behrens.
Das Arditti String Quartet spielte die CD "Compositions For String Quartet And String Trio" (Edition Block, 1990) ein. Die CD "Hommage À/Hommage To Ivan Wyschnegradsky" (Société Nouvelle d'Enregistrement, 1994) bestand aus vier Werken von ihm selber sowie je einem von Serge Provost und Bruce Mather. "Etude Sur Les Mouvements Rotatoires: 24 Préludes" (Col Legno, 2002) enthielt ein längeres, mehrteiliges Werk für zwei Klaviere mit Martine Joste und Sylvaine Billier. In einem kürzeren Werk für zwei Klaviere zu acht Händen kamen als weitere Pianisten noch Fuminori Tanada und Gérard Frémy dazu.
"Quarter-Tone Pieces" (hat[now]ART, 2006) bestand hauptsächlich aus Stücken für zwei Klaviere von Ivan Wyschnegradsky sowie vier kürzeren von Charles Ives. Eingespielt wurde die CD von Josef Christof und Steffen Schleiermacher. Auf "La Journée De L'Existence" (Shiiin, 2009) fand sich das gleichnamige, bereits erwähnte Oratorium in einer Einspielung des Nouvel Orchestre Philharmonique De Radio-France von 1978 unter Alexandre Myrat.
Ergänzt wurden die Aufnahmen mit mehreren Interview-Ausschnitten. Wyschnegradsky war wie Thomas Günther, Nikolaj Obuchov und Sergej Protopopov mit Stücken auf dem 4-CD-Set "Klavierwerke um den Russischen Futurismus Vol. 1" (Cybele, 2016) vertreten. Werke von Wyschnegradsky, Alain Bancquart und Alain Moëne wurden auf der CD "Pianos Quart De Ton" (Shiiin, 2018) zusammengefasst. 08/23