Französische Komponistin, geboren am 21. August 1893 in Paris als Marie-Juliette Olga Boulanger bzw. als jüngere Schwester der Komponistin, Pianistin, Dirigentin, Musiktheoretikerin und –pädagogin Nadia Boulanger. Lili und Nadia stammten aus einer traditionsreichen Musikerfamilie.
Deren Mutter Raïssa Mychetskaja (1858–1935), eine russische Adelige, war Sängerin, der Vater Ernest Boulanger (1815–1900) war Komponist, Dirigent und Gesangslehrers. In offenen Elternhaus waren Nadia und Lili von klein auf von Schauspielern, Musikern, Dichtern, Schriftstellern und bildenden Künstlern umgeben. Zu den engen Freunden der Familie gehörten neben anderen Charles Gounod, Jules Massenet und Camille Saint-Saëns.
Trotz einer chronischen Bronchialpneumonie und Morbus Crohn erhielt Lili Boulanger früh Unterricht in Orgel bei Louis Vierne, Klavier, Violoncello, Violine und Harfe. Sie war keine eingeschriebene Studentin, sondern begleitete ihre Schwester Nadia sporadisch – wenn es ihre Gesundheit erlaubte – ans Conservatoire de Paris.
Ungefähr mit sieben Jahren probierte sie das dort Gehörte daheim am Klavier aus und begann dadurch, sich vieles selbst beizubringen. Um den Tod ihres Vaters 1900 zu verarbeiten, komponierte Lili mit elf Jahren das Lied "La Lettre de Mort" für Sopran Solo. Dieses und weitere Werke aus ihrer frühen Phase vernichtete sie später selbstkritisch.
Ihr erster öffentlicher Auftritt als Violinistin fand am 5. September 1901 statt. Damals besuchte sie den Kompositionsunterricht von Gabriel Fauré, traf in diesem Umfeld Charles Koechlin, Florent Schmitt und Maurice Ravel. Durch ihr Sprachtalent, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, sprach und verstand sie auch Russisch, Deutsch und Italienisch. Da sie nicht regulär zur Schule gehen konnte, stellte sie sich selbst ein Literaturprogramm zusammen.
Im weiteren Freundeskreis der Boulangers befand sich Raoul Pugno, der über Lilis musikalisches Talent dermassen erstaunt war, dass er sie in ihrem Entschluss, Komponistin werden zu wollen, bedingungslos unterstützte. Lili war damals 16 Jahre alt.
1913 gewann sie wie ihr Vater und als erste Frau den begehrten Prix de Rome, der ihr Lebensziel war. Der Preis bestand in einem Aufenthalt in der Villa Medici in Rom und einem Stipendium. Das prämierte Werk, ihre Kantate "Faust et Hélène", wurde wenig später in Paris erstmals aufgeführt.
Nach vielen weiteren Konzerten steckte sich Lili Boulanger im Winter 1913 bei ihrer Schwester Nadia mit Masern an. Zusätzlich erkrankte sie an einer bereits früher in Erscheinung getretenen Magen-Darm-Erkrankung und an einer schweren Lungenentzündung. Ihr Leben hing an einem seidenen Faden.
Sie komponierte in fieberhafter Eile weiter und trat ihren Aufenthalt in Rom kurz an. Im Laufe der Zeit konnte sie sich noch mit grösster Mühe einigermassen aufrecht halten. Während dieser Zeit vollendete sie eines ihrer grössten und bedeutendsten Werke, das "Pie Jesu", gleichsam ihr eigenes Requiem, für Sopran, Streichquartett, Harfe, Orgel und Orchester.
Lili Boulanger starb am 15. März 1918 im Alter von 24 Jahren in Mézy-sur-Seine, Yvelines, bei Paris. Ihre Schwester Nadia setzte sich unermüdlich für eine Aufführung der Werke ein. Die Musik von Lili Boulanger wurde auf fast 50 Schallplaten veröffentlicht. 12/23