Die ersten Versuche anderer Musiker, Jazz und Rock näher zueinander zu bringen, liessen auch den stets nach Neuem suchenden Miles Davis nicht ungerührt. Erste Anzeichen dafür waren im Januar und Mai 1968 festzustellen, als er mit seinem zweiten klassischen Quintett "Miles In The Sky" (Columbia, 1968) einspielte.
Darauf ist Herbie Hancock teilweise am E-Piano und Ron Carter teilweise am E-Bass zu hören. Für ein Stücke wurde George Benson (g) dazugeholt. Auf "Filles de Kilimanjaro" (Columbia, 1968) mit Aufnahmen seines Quintetts vom Juni und September 1968 setzte er die Experimente mit elektrisch verstärkten Instrumenten fort.
In einigen Stücken setzte er Chick Corea (p, e-p) an Stelle von Hancock (e-p) ein, in anderen Dave Holland (b) an Stelle von Ron Carter (e-b). Es war, wenn man es so sehen will, das letzte Album des zweiten klassischen Quintetts (siehe Miles Davis Quintet-2). Inspiriert wurde er bei seiner Hinwendung zu Funk und Rock von der Sängerin Betty Mabry bzw. Betty Davis, mit der er von 1968 bis 1970 verheiratet war.
Auf "In A Silent Way" (Columbia, 1969) umgab sich Miles im Februar 1969 zwar weiter mit Shorter (ss), Hancock (e-p) und Williams (dm). Dazu stellte er mit John McLaughlin (g), Chick Corea (e–p), Joe Zawinul (e-p, org) und Dave Holland (b) weitere Musiker. Die gesamte Session sowie weiteres Material, das zwischen September 1968 und Februar 1969 entstanden war, erschien später auf der 3-CD-Box "The Complete In A Silent Way Sessions" (Columbia, 2001).
Im August 1969 und Januar 1970 setzte er mit dem Doppelalbum "Bitches Brew" (1970) zum grossen Wurf an. Für das Hexengebräu holte er Wayne Shorter (ss), Bennie Maupin (bcl), Chick Corea, Joe Zawinul und Larry Young (e-p), John McLaughlin (g), Dave Holland (b), Harvey Brooks (e–b), Lenny White, Billy Cobham und/oder Jack DeJohnette (dm) sowie Airto Moreira, Don Alias und/oder Juma Santos (perc) ein.
Die auf der Doppel-LP veröffentlichten Tracks widergaben allerdings nicht das, was in den Studios eingespielt wurde, denn sie wurden von Produzent Teo Macero nachträglich zusammengeschnitten. Später erschien unter dem Titel "The Complete Bitches Brew Sessions" (Sony, 1998) die komplette Session.
Die 4-CD-Box enthält die 6 Tracks der Doppel-LP in der Orginallänge sowie weitere Studioaufnahmen aus dieser Epoche. Eine Live-Version von "Bitches Brew" in der Quartett-Besetzung Davis, Corea, Holland und deJohnette ohne den im Stau steckengebliebenen Wayne Shorter vom Newport Jazzfestival am 5. Juli 1969 erschien später unter dem Titel "Bitches Brew Live" (Sony, 2010).
Ergänzt wurde dieser 24-minütige Mitschnitt mit 36 Minuten vom Isle Of Wight-Festival 1970. Zu den erwähnten Musikern in Newport gesellten sich auf der Isle Of Wight Gary Barth (ts), Keith Jarrett (p) und Airto Moreira (perc). Am 7. März 1970 trat Miles Davis in Sextettbesetzung im Fillmore East in New York auf. Begleitet wurde er von Shorter, Corea, Holland, deJohnette und Moreira.
Die Aufnahmen wurden erst später als "Live At The Fillmore East (March 7, 1970) - It's About That Time" (Sony, 2001) veröffentlicht. Dieses Quintett, das mit Miles eigentlich ein Sextett war, nannte Davis damals The Lost Quintet. Mit ihm trat er zu jener Zeit meist live auf. Zudem bildete es das Kernquintett seiner im Studio versammelten Grossformationen.
Eigene Aufnahmen spielte dieses Quintett nie ein, aber später erschien unter dem Titel "The Lost Broadcast" (Left Field, 2016) ein Mitschnitt eines Auftritts dieses Sextetts mit Steve Grossman an Stelle von Shorter vom 9. April 1970 im Filmore West in San Francisco. Von einem Konzert am Tag darauf ebenfalls im Filmore West stammen die Aufnahmen des Livealbums "Black Beauty" (Columbia, 1973).
