Amerikanischer Jazz-Klarinettist und -Sopransaxophnist mit kreolischen Wurzeln, geboren am 14. Mai 1897 in New Orleans, Louisiana. Er gilt neben Jelly Roll Morton und Louis Armstrong als einer der wichtigen Solisten des frühen Jazz. Zudem war er einer der technisch versiertesten Musiker der Ära des New Orleans Jazz. Als Klarinettist und Saxophonist wurde er ein Vorbild für viele andere Jazzmusiker.
Lange vor dem Aufkommen des Latin Jazz verwendete er Rumba- und Merengue-Elemente. 1941 unternahm er ein frühes Experiment in Sachen Overdubbing, als er auf der Aufnahme des Titels "Sheik of Araby" alle sechs Instrumente (cl, ss, ts, p, b, dm) selber spielte. Dieser Titel erschien zusammen mit "Blues Of Bechet" auf einer Schellack-Schallplatte (RCA, 1941).
Sidney Bechet brachte sich das Klarinettenspielen mit sechs Jahren auf dem Instrument seines älteren Bruders Leonard selber bei. Er nahm später im Tausch gegen Tabak Lektionen bei den Klarinettisten Lorenzo Tio und George Bacquet, den Stammvätern des New Orleans-Klarinettenspiels. Dieser Unterricht nütze ihm jedoch laut eigenen Aussagen nur wenig, weil er nicht richtig Noten lesen konnte.
Stattdessen lernte er durch Zuhören und Beobachten verschiedene Instrumente, so 1911 bei seinem Vorbild, dem Kornettisten Freddie Keppard. 1913 spielte er mit Louis Armstrong, den er schon seit seiner Kindheit aus New Orleans kannte. 1914 war er mit Clarence Williams auf einer Tour durch Texas, 1916 spielte er mit King Oliver und 1917 in Chicago unter anderem mit Lawrence Duhé.
Bereits 1919 war er in New York und machte eine Europatour mit dem Southern Syncopated Orchestra von Will Marion Cook. In London kaufte er sein erstes Sopransaxophon und gab eine Galavorstellung im Buckingham Palace. 1920 spielte er in Paris und ging nach London, wo er wegen einer harmlosen Frauengeschichte, die ihm aber eine Anklage wegen Belästigung eintrug, ausgewiesen wurde. Von 1921 bis 1922 tourte er durch die USA und schloss Freundschaft mit Bessie Smith. Von 1923 bis 1925 war er meist in New York.
Erste Schallplatten-Aufnahmen machte er 1923 mit Clarence Williams’ Blue Five, in dieser Besetzung zeitweilig auch gemeinsam mit Louis Armstrong. Er begleitete Bluessängerinnen, spielte in Vaudeville-Clubs und war 1924 Mitglied im Duke Ellington Orchester. Auf einer weiteren Europatournee trat er 1925 im Orchester der "Revue nègre" auf, mit der Josephine Baker ihren Durchbruch erlebte.
Dabei zeigte sie erstmals in Europa den Charleston-Tanzstil. Bechet und Baker tourten danach durch Belgien, wo sie die Revue zugunsten der "Folies Bergère" verliess. Dann ging's weiter durch Russland, wo Bechet in Moskau Freundschaft mit Tommy Ladnier schloss, und schliesslich durch Deutschland.
1928 war er wieder in Paris, bekam aber schon nach elf Monaten Ärger, als bei einem Streit unter Musikern versehentlich eine Französin durch einen Streifschuss verletzt wurde. Er wurde zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt, Nach elf Monaten wurde er des Landes verwiesen und begab sich zunächst nach Berlin.
1930 war er im deutschen Film "Einbrecher" (mit Lilian Harvey und Willy Fritsch) zu hören, aber kaum zu sehen. Dann wurde er von Noble Sissle in die USA verpflichtet. 1932 spielte er mit seinen eigenen New Orleans Feetwarmers im Savoy Ballroom in New York. Dabei entstanden auch Aufnahmen mit Ladnier, mit dem er während der Depression 1933/34 vorübergehend einen Schneiderladen unterhielt.
Von 1934 bis 1938 spielte er wieder bei Sissle, mit dem er ebenfalls Aufnahmen machte. 1937 sah er neue Chancen im einsetzenden New Orleans Revival und spielte 1938 mit eigenen Bands. 1938 hatte er einen Hit mit George Gershwins "Summertime", machte für Hugues Panassié und ab 1939 für "Blue Note" Aufnahmen.
Diese wurden von den Widerstands-Sendern im Zweiten Weltkrieg verbreitet Zwischen 1938 und 1942 machte er mehrere Aufnahmen für das "RCA"-Sublabel "Bluebird". 1939 spielte er mit Jelly Roll Mortons New Orleans Jazzmen, mit Tommy Ladnier und mit dem Quintett von Meade Lux Lewis, 1940 mit Armstrong und mit Earl Hines.
Zudem gründete er 1940 mit Muggsy Spanier (co), Carmen Mastren (g) und Wellman Braud (b) The Bechet/ Spanier Big Four. Das Konzept dieser schlagzeuglosen Gruppe kopierten Bechet und Spanier von einem Kammerjazzquartett, das um 1939 in Paris mit Rex Stewart (co), Barney Bigard (cl), Django Reinhardt (g) und Billy Taylor (p) unter dem Namen Rex Stewart And His Feetwarmers aktiv war. Später übertrug der Free Impro-Saxophonist Max Nagl dieses Konzept auf eine seiner Gruppe (siehe alle Big Four).
1941 machte Bechet Soloaufnahmen, spielte mit Vic Dickenson, mit Henry Red Allen und im Trio mit Willie "The Lion" Smith. Dank sprudelnder Tantiemen wurde Bechet bald Hausbesitzer in Brooklyn. 1946/47 machte er Aufnahmen für Mezzrows Label "King Jazz". In den 1940er Jahren war er regelmässig mit dem Gitarristen Eddie Condon in New York City zu hören, wo er an mehreren von dessen Town Hall Concerts teilnahm.
1945 versuchte er eine Band zusammen mit dem New-Orleans-Veteranen Bunk Johnson auf die Beine zu stellen, was aber an dessen Alkoholproblemen scheiterte. Als er nach dem Festival International 1949 de Jazz zu seiner eigenen Überraschung eine grosse Resonanz in Paris fand, blieb er dort.
Seine Platten wurden in Frankreich so erfolgreich, dass er 1950 bereits seine millionste Platte verkaufen konnte. Zudem spielten Vorurteile hinsichtlich anderer Rassen in Paris eine kleine Rolle. Die existenzialistische Jugend in Frankreich verehrte Sidney Bechet als Gott. Sein vibratoreiches Saxophonspiel und seine Kompositionen "Petite fleur" und "Dans la rue d’Antibes" machten Sidney Bechet einem breiten Publikum bekannt.
Er formierte um sich die Sidney Bechet All Stars mit Guy Longnon (tp), Jean-Louis Durand (tb), Charlie Lewis (p), Alf "Totole" Masselier (b), Armand Molinetti (dm) und James Campbell (vcl). In dieser Formation wurden in Paris am 21. Januar 1952 für "Vogue" elf Titel eingespielt, darunter auch seine Eigenkomposition "Petite fleur".
Sie wurde 1959 mit bis 1961 über 10 Millionen verkauften Exemplaren ein weltweiter Hit. Er spielte mit den jungen Traditional-Jazzbands von Claude Luter, André Reweliotty, Lil Hardin Armstrong und Zutty Singleton. 1955 wurde seine Ballettmusik "The Night Is A Witch" in Brüssel aufgeführt. Er wirkte auch in französischen filmes noires mit.
Seinen letzten Auftritt absolviert er an der Weltausstellung in Brüssel. Sidney Bechet starb am 14. Mai 1959, an seinem 62. Geburtstag, an Lungenkrebs in einer Pariser Klinik. Tausende gaben ihm sein letztes Geleit. Er wurde in Garches, einem Vorort von Paris, begraben. In Juan-les-Pins, wo er häufig gespielt hatte, ist eine Büste von ihm zu sehen.
Er hinterliess eine monströse Diskographie mit hunderten von Schallplatten. Dazu kommen über 400 Compilations. Unter diesen finden sich einige sehr umfassende und/oder historisch wertvolle Werkschauen. "Integrale 1949-1959 1 bis 3" (alle Jazz Selection, 1973) waren drei Triple-LP, welche das Schaffen Bechets in den 1950er Jahren abdeckten, als er sich in Frankreich aufhielt.
"The Complete Sidney Bechet Vol 1/2 (1932-1941)" (RCA, 1979), "The Complete Sidney Bechet Vol 3/4 (1941)" (RCA, 1981) und "The Complete Sidney Bechet Vol.5 (1941-1943) Plus Ladnier/Mezzrow/Newton (1938-1939)" (RCA, 1983) war eine Serie von drei Doppel-LP, welche die Zeit vor seinen Frankreich-Jahren dokumentierten.
"The Complete Blue Note Recordings Of Sidney Bechet" erschien zuerst als 6-LP-Set (Mosaic, 1985) und dann als 4-CD-Set (Mosaic, 1991). 4 CD oder 5 LP umfasste "1932-1934 The Bluebird Sessions" (Bluebird, 1989). Weitere 4-CD-Boxes hiessen "The Sidney Bechet Story" (Proper, 2001), "Les 100 Plus Grands Succès De Sidney Bechet" (JBM, 2001) und "Pre-War Classic Sides" (JSP, 2007).
"Hall Of Fame" (Past Perfect Jazz Line, 2002) erstreckte sich über 5 CD. "Portrait" (Past Perfect, 2001) und "Petit Fleur" (Documents, 2008) waren je 10 CD stark. "In Chronology" (alle Complete Jazz Series, 2008) hiess eine Reihe von sieben DL-Alben mit total 156 chronologisch geordneten Tracks.
14 CD umfasste "The Complete American Masters 1931-1953" (Universal, 2011). "45 Essentials Of Sidney Bechet" (BNF, 2014) erschien in DL-Form. "Sidney Bechet En Suisse/In Switzerland" (United Music Foundation, 2014) war ein 4-CD-Set. 06/23