Ende der 1960er Jahre schlug der amerikanische Sopransaxophonist und Bandleader Steve Lacy seine Zelte für Jahrzehnte in Paris auf. Dort nahm er am 23. September 1969 mit Michel Graillier (p), Jean-François Jenny-Clark (b) und Aldo Romano (dm) die Monk-Hommage "Epistrophy" (BYG, 1969) auf. Fortan leitete er eine feste Gruppe zwischen Quartett - und Sextett-Grösse, die unter diversen Bandnamen auftrat.
Das erste feste Lineup bestand neben Lacy aus Ambrose Jackson (tp), Irene Aebi (cello), Kent Carter (b) und Jerome Cooper (dm). Live entstand in dieser Besetzung am 4. Januar 1971 "Wordless" (Futura, 1971). "Lapsis" (Saravah, 1971) hiess seine erste unbegleitete Soloaufnahme.
Die Aufnahmen dazu waren am 9. und 10. September 1971 in einem Studio in Paris über die Bühne gegangen. Im Laufe der Jahre veröffentlichte Lacy eine ganze Reihe von weiteren Soloeinspielungen (siehe Steve Lacy in Soloaufnahmen).
In die Zeit Anfang der 1970er Jahre fallen auch die ersten Aufnahmen der langlebigen und stark dokumentierten Gruppe Steve Lacy Quintet. Deren Kern bestand anfänglich aus Steve Lacy (ss), Steve Potts (as, ss) und Irene Aebi (cello, vcl). Kent Carter und später Jean-Jacques Avenel waren die Bassisten, Noel McGhie, Kenneth Tyler, Oliver Johnson und John Betsch die Schlagzeuger.
"Scraps" (Saravah, 1974) und "Flakes" (RCA, 1975) hiessen die beiden ersten Aufnahmen, die unter dem Gruppennamen Steve Lacy Sextett erschienen. Es handelte sich um nichts anderes, als eine erweiterte Version des Steve Lacy Quintets, hier in der Anfangsphase mit Michael Smith (p, org).
Unter den Gruppennamen Steve Lacy Quintet, Steve Lacy Sextet, Steve Lacy 6, Steve Lacy Double Sextet oder Steve Lacy Five (siehe Steve Lacy Quintet/Steve Lacy Sextet) erschien eine Reihe von weiteren Aufnahmen, die meisten basiernd auf dem Quintett. Neben diesen Ensembleaufnahmen veröffentlichte Lacy ab Mitte der 1970er Jahre weitere Alben mit kleineren oder ad hoc zusammengesetzten Formationen.
Mit Franz Koglmann (tp, flh) als Co-Leader sowie mit Gerd Geier (elect), Toni Michlmayr (b) und Muhammad Malli (dm) war "Flaps" (Pipe, 1973) entstanden. Am 30. Juli 1973 kam es im Londoner "100 Club" zu einem Zusammentreffen von Lacy, Potts und Carter mit Derek Bailey (g) und John Stevens (dm). Aufnahmen davon wurden auf der LP "The Crust" (Emanem, 1975) veröffentlicht.
Im Dezember 1974 traten Steve Lacy und Steve Potts mit Bailey, Trevor Watts (as), Evan Parker (ts, bs, ss) und Michel Waisvisz (elect) in diversen Zusammensetzungen in London auf. Der Mitschnitt davon erschien unter dem Titel "Saxophone Special" (Emanem, 1975). Acht Tracks von "The Crust" und "Saxophone Special" sowie ein bislang unveröffentlichtes Stück des zweiten Auftritts wurden später auf "Saxophone Special +" (Emanem, 1998) auf einer CD zusammengefasst.
Später war Steve Lacy Mitglied mehrerer Companys von Derek Bailey (g). Bei "Clangs" handelte es sich um eine Suite, die 1992 mit seinem Double Sextet für eine CD (hat ART, 1993) aufgenommen hatte. "Clangs" (Ictus, 1976) hiessen auch Duoaufnahmen von Lacy mit Andrea Centazzo (dm, perc). Steve Lacy tat sich im Laufe der Jahre oftmals mit anderen Musikern und Musikerinnen für Duo-Produktionen zusammen (siehe Steve Lacy in Duoaufnahmen).
"Raps" (Adelphi, 1977) war eine Quartettaufnahme vom Januar 1977 mit Potts, Ron Miller (b) und Oliver Johnson (dm). Im Mai 1977 machte Lacy in Rom nicht nur Soloaufnahmen, sondern traf in einem Studio auch auf die Musica Elettronica Viva-Mitglieder Alvin Curran (flh, synth, perc) und Frederic Rzewski (p).
Das Ergebnis beider Sessions ist auf der LP "Threads" (Horo, 1977) festgehalten. Ein halbes Jahr später luden Curran, Rzewski und Richard Teitelbaum (synth) neben Lacy auch Karl Berger (vibes, p) und Garrett List (tb) für Aufnahmen ein, die als "United Patchwork" (Horo, 1978) auf einer Doppel-LP als Aufnahme von Musica Elettronica Viva auf den Markt kamen.
1989 und 1995 kam es zu einem Wiedersehen zwischen Lacy und Rzewski. Mit Irene Aebi (vcl) entstand "Rushes-10 Songs From Russia" (New Sound Planet und Nueva, 1990) und "Packet" (New Albion, 1995). Von 1974 stammen die Aufnahmen zu "Lumps" (ICP, 1978), die Lacy in Holland mit Michel Waisvisz (synth), Marten Altena (b) und Han Bennink (dm, perc, objects) realisiert.
"Points" (Chant du Monde, 1978) waren Quartettaufnahmen vom Februar 1978 in der Besetzung Lacy, Potts, Carter und Johnson, also in der Quintettbesetzung ohne Aebi. Ausserhalb seiner normalen Gruppe spielte Lacy mit Kenny Davern (cl, ss), Steve Swallow (e-b) und Paul Motian (dm) "Unexpected" (Kharma, 1978) ein.
1979 nahm Lacy mit Steve Potts (as), Irene Aebi (vcl, vio, cello, Kent Carter (cello, b), Jean-Jacques Avenel (zither, kora, perc), Takashi Kako (key) und Oliver Johnson (dm) sowie teilweise mit Lawrence "Butch" Morris (co) als Steve Lacy & Cie. die LP "The Owl" (Saravah, 1979) auf.
Mit George Lewis (tb), Misha Mengelberg (p), Arjen Gorter (b) und Han Bennink (dm) als Mitmusiker machte Lacy bei der Herbie Nicols-Hommage "Change Of Season" (Soul Note, 1985) mit. 1987 trafen Lacy, Mengelberg, Bennink und Lewis in Holland auf Ernst Reijseger (cello), um "Dutch Masters" (Soul Note, 1991) aufzunehmen.
Eine weitere Herbie Nichols-Hommage, bei der Lacy als Mitglied des ICP Orchestras mitmachte, war "Extension Red, White & Blue" (ICP, 1985). Unter Masahiko Togashis Namen erschien "Bura Bura" (Alfa, 1986). Neben dem japanischen Schlagzeuger und Steve Lacy waren auf dieser LP Don Cherry (p-tp, p, vcl) und Dave Holland (b) am Werk.
Mit Masahiko Togashi machte Lacy im Laufe der Jahre viele weitere Aufnahmen. Mit seinem ehemaligen Cecil Taylor-Weggefährten Charles Taylor (bars) sowie mit seiner regulären Rhythmusgruppe Avenel/Johnson nahm er im Juni 1986 "One Fell Swoop" (Silkheart, 1987) auf.
"Explorations" (Jazzpoint, 1987) zeigt Lacy im Duo mit Shiv Shankar Ray (tabla) sowie im Trio mit zusätzlich Subroto Roy Chowdhury (sitar). Die beiden Inder steuerten zur LP einen weiteren Duotrack bei.
Als Steve Lacy Four spielten Lacy, Potts, Avenel und Johnson bei einem Auftritt im Februar 1986 "Morning Joy: Live At Sunset Paris" (hat ART, 1989) ein. Ohne Aebi und Few bzw. als Steve Lacy Quartet nahmen Lacy, Potts, Avenel und Betsch im Februar 1993 "Revenue" (Soul Note, 1995) auf.
Mit Ned Rothenberg (as), Roy Nathanson (ts) und Eric Sleichim (bars) spielte Lacy (ss) unter dem Gruppennamen Antonyms 1 "Established Mode Of Speech" (Sub Rosa, 1993) ein. 1998 wurde in Genf seine Oper "The Cry", basierend auf Texten der indischen Schriftstellerin Taslima Nasrin, uraufgeführt. "The Cry" ist eine Oper für sieben Musiker in zwölf Gesängen.
Der Mitschnitt einer Aufführung vom 8. März 1988 in Genf erschien auf einer Doppel-CD (Soul Note, 1999). Mitwirkende waren neben Lacy, Aebi und Avenel Tina Wrase (ss, sops, bcl), Petia Kaufman (hapischord), Cathrin Pfeifer (acc) und Daniel "Topo" Gioia (perc).
Aus früherer Zeit stammten die Aufnahme, die auf der auf 399 Stück limitierten LP "Sideways" (Roaratorio, 2000) zugänglich gemacht wurden. Die A-Seite enthielt in Rom eingespielte Duo- und Trioaufnahmen von Lacy und Richard Teitelbaum (synth) teilweise mit Irene Aebi (vcl) von 1968.
Die B-Seite zeigt Lacy im April 1977 in Berlin beim Zusammenspiel mit Michel Waisvisz (synth) und Han Bennink (dm). Auf der im Dezember 2001 realisierten CD "The Beat Suite" (Sunnyside, 2003) rezitiert Irene Aebi Texte von Burroughs, Ginsberg und Kerouac, begleitet von Lacy, George Lewis (tb), Jean-Jacques Avenel (b) und John Betsch (dm).
Nach 30 Jahren Aufenthalt in Paris kehrte Lacy 2002 nach Boston zurück, wo er auch als Lehrer wirkte. "Lift The Bandstand" hiess ein Film von Peter Bull, in dem Lacy in Aufnahmen von 1983 zu sehen und zu hören ist. Der Film kam 2004 als DVD (EforFilms, 2004) heraus.
Steve Lacy starb am 4. Juni 2004 in Boston, Massachusetts, 69-jährig an Krebs. Auch nach seinem Tod riss der Strom an Veröffentlichungen nicht ab. Es waren dies Compilations oder Wiederveröffentlichungspakete sowie weitere bisher unbekannte oder bekannte Aufnahmen des Musikers.
Auf der CD "New Jazz Meeting Baden-Baden 2002" (hatOLOGY, 2006) wurden jene Tracks zusammengefasst, bei denen Steve Lacy mitbeteiligt gewesen war. Es handelte sich um Duo- oder Triotracks mit Berhard Lang (elect), Philip Jeck (tt), Peter Herbert (b) und/oder Wolfgang Reisinger (dm).
Zwei der sechs Stücke waren zuvor schon auf der Doppel-CD "<trio x 3>–New Jazz Meeting Baden-Baden 2002" (hatOLOGY, 2003) erschienen, die auch Teil dieser Live- und Studiosessions ohne Lacy enthielten.
Unter dem Titel "The Complete Remastered Recordings On Black Saint & Soul Note. Solos Duos Trios." (Soul Note und Black Saint, 2011) wurden die Solo-Aufnahmen "Only Monk" und "More Monk", die Duo-Aufnahmen "Sempre Amore", "Communique" und "The Flame" sowie die die Trio-Aufnahme "The Window" im Rahmen eines 6-CD-Sets wiederveröffentlicht.
Später wurden weitere Aufnahmen, die Lacy im Laufe der Jahre in diversen Besetzungsgrössen für die italienischen Schwesterlabel "Black Saint" bzw. "Soul Note eingespielt hatte, unter dem Titel "The Complete Remastered Recordings" (Black Saint/Soul Note, 2014) in Form eines 10-CD-Sets gemeinsam noch einmal neu aufgelegt.
"Six Classic Albums" (Real Gone Jazz, 2016) bestand auf vier CDs aus Alben von Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre. Darunter befanden sich auch Aufnahmen von Lacy mit Gil Evans und Cecil Taylor. Unter dem Titel "The Classic Albums" (Enlightenment, 2024) wurden auf vier CDs seine frühen Alben von "Soprano Sax" von 1958 bis "The Forest And The Zoo" von 1967) wiederveröffentlicht.
Weitere Aufnahmen machte Steve Lacy mit Kenny Burrell, Gary Bruton, Bobby Hackett, Giorgio Gaslini, Alan Silva und dessen Celestial Communication Orchestra, Franz Koglmann, Maria Monti, dem Riccardo Fassi Trio, dem Globe Unity Orchestra, David McNeil, der Gruppe Area, Max Roach, Jay Oliver, Didier Levallet, dem ICP Orchestra, Tchangodei, Helen Merrill, Tiziana Ghiglioni, Ulrich Gumpert, Eric Watson, Giancarlo Locatelli, Ran Blake und vielen anderen. 09/24